Wer ein Stück Heimat sucht, bekommt diese auch

Einmal Deutschland und zurück: Cintia Reyes aus Bolivien hat in den 90er Jahren in Leipzig studiert. 20 Jahre später kam sie zum Arbeiten nach FrankfurtRheinMain. Im Interview spricht sie über Neuanfänge, erste Hürden und das tatsächliche Ankommen in unserer Region.

 

Sie verließen Deutschland nach dem Studium und gingen zurück nach Bolivien. Über 20 Jahre später sind Sie nun zurück. Wie kam es dazu?

Reyes: „Ich habe in Leipzig Psychologie studiert und ging dann zurück nach Bolivien. Ich habe für verschiedene Bildungsorganisationen gearbeitet. Den Kontakt und Bezug zu Deutschland habe ich in all den Jahren jedoch nie verloren. Mit anderen, die auch in Deutschland gelebt hatten, gründeten wir einen Verein. Wir unterstützten andere Bolivianer bei der Rückkehr auf den bolivianischen Arbeitsmarkt. So entstand auch eine Zusammenarbeit mit meinem jetzigen Arbeitgeber, der Zentrale Auslands- und Fachvermittlung. Schließlich wurde in Eschborn eine Stelle frei, bei der meine Expertise und Kenntnisse über Lateinamerika gefragt waren. Ich überlegte und entschloss, mich auf die Stelle zu bewerben. Ich dachte: ‚Warum nicht?‘ Mein Sohn ist ohnehin schon erwachsen und beendet zunächst in Bolivien sein Studium. Ich war zwar immer wieder zu Besuch in Deutschland, freute mich aber wieder hier leben und arbeiten zu können.“

 

Wie war der weitere Bewerbungsprozess und die Anreise nach FrankfurtRheinMain?

Reyes: „Die erste Hürde: Ein Skype-Interview mit Zeitverschiebung – um 6 Uhr morgens meiner Zeit! Doch wie ich später feststellen musste, war dies erst der Anfang. Ich erhielt nach einigen Wochen eine Zusage und die Frage: ‚Wann kommst du? Wir brauchen dich ganz schnell!‘ Ich hatte also nur einen Monat Zeit, um meine Zelte in Bolivien abzubrechen und nach Deutschland zu kommen. In den nächsten Wochen ging alles sehr schnell. Ich bekam ein Visum, um nach Deutschland einzureisen. Vorher musste ich mich selbst ausreichend versichern. Vor Ort hatte ich nun 3 Monate Zeit, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Generell ist es so, dass Ausländerbehörden in großen Städten oft stark besucht werden, vor allem zu Zeiten, in denen sich viele ausländische Studierende dort melden. Gut zu wissen ist aber, dass Menschen, die In Deutschland studiert haben, schneller eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. "

 

Als quasi-Rückkehrerin hat das Einleben dann aber schnell geklappt?

Reyes: „Auch wenn ich vor vielen Jahren in Deutschland gelebt habe, war es für mich ein kompletter Neuanfang. Deutschland hat sich seit den 90er Jahren natürlich total verändert. Außerdem habe ich damals in Ostdeutschland gelebt, was einen zusätzlichen Unterschied ausmacht. Viele Sachen waren deshalb total neu für mich. Wohnen, Steuern, Sozialversicherung, Pfandrückgabeautomat – in meinem Land ist das alles total anders. Hier gibt es einfach auch mehr Regeln als bei uns. Und vor allem: die Menschen halten sich daran! Ich habe eine Weile gebraucht, um das ganze System zu verstehen. Für die Orientierung im Verkehr sind Apps wie ‚Öffi‘ für mich unverzichtbar.“

 

Wie war die Wohnungssuche?

Reyes: „Ich muss gestehen, das war wirklich nicht einfach. Ich hatte gehofft, dass es viel schneller gehen würde. Ich kam glücklicherweise zunächst bei einer Kollegin unter. Es gibt in Frankfurt einfach zu viel Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt. Außerdem gibt es zahlreiche unseriöse Angebote, vor denen sich insbesondere Neuankommende aus dem Ausland in Acht nehmen sollten. Und: Vermieter verlangen meist unbefristete Arbeitsverträge. Meine jetzige Wohnung habe ich im Internet gefunden. Nach mehreren Besichtigungen habe ich verstanden, dass man zu den Terminen am besten eine Art Bewerbungsmappe mit vielen Informationen mitbringen sollte. Auch bei diesem Termin waren ca. 15 Personen anwesend – aber ich hatte Glück und bekam die Wohnung. Jetzt suche ich nach einer größeren Wohnung und überlege, etwas weiter raus aus Frankfurt zu ziehen. Ich finde Schwalbach sehr schön, dort ist es auch ruhiger.“

 

Das klingt nach einer anstrengenden Anfangszeit. Können Sie die Region nun genießen? Was gefällt Ihnen hier besonders?

Reyes: „Stimmt, jeder Neuanfang ist schwer, aber das gilt sicher nicht nur für Menschen aus dem Ausland, sondern für jeden, der irgendwo neu anfängt. Erst nachdem ich das Thema Aufenthaltserlaubnis und Wohnen erfolgreich gemeistert hatte, konnte ich mich so richtig auf die Region einlassen. Ich mag FrankfurtRheinMain, es ist nicht so groß wie Berlin, die Wege sind kurz und alles ist einfach zu erreichen– einfach gemütlich. Trotzdem gibt es ein sehr großes Angebot an Kultur und Freizeit. Am meisten zieht es mich an den Main, an dem man einfach sitzen und entspannen kann. Hier finden auch Konzerte oder das Museumsuferfest statt.

 

Haben Sie Kontakt zu Menschen aus Bolivien und Lateinamerika? Gibt es in der Region auch ein Stück Heimat?

Reyes: „Durch meine Arbeit habe ich viel Kontakt zu Menschen aus Lateinamerika. Es gibt in der Region eine große Community und viele verschiedene Vereine. Einige der Organisationen unterstützen Neuankommende. Außerdem engagiere ich mich seit Kurzem ehrenamtlich in einem bolivianischen Verein namens Puerta del Sol. Hier sind sowohl Personen dabei, die noch nicht lange in Deutschland leben, als auch welche, die bereits sehr lange hier leben, hier studiert haben oder eine Ausbildung gemacht haben, oder Deutsche geheiratet haben. Es sind aber auch Deutsche dabei, die eine Zeit in Bolivien gelebt haben. Wir organisieren viele verschiedene Aktivitäten. Zum Beispiel waren wir bei der Parade der Kulturen dabei. Dafür sind Bolivianer aus ganz Europa angereist! Es gibt auch verschiedene Bars und Restaurants. Ich schätze diese Region sehr für ihre Vielfalt. Egal woher man kommt: Wer ein Stück Heimat sucht, bekommt diese auch.